Aus dem Kollagen der Schweinehaut biotechnisch hergestellte Hornhautimplantate können das Sehvermögen wiederherstellen

Aus dem Kollagen der Schweinehaut biotechnisch hergestellte Hornhautimplantate können das Sehvermögen wiederherstellen

Do,18.08.2022 — Redaktion

Redaktion

Icon Medizin Der Verlust von Transparenz und Lichtbrechungsvermögen der Hornhaut (Cornea) gehören weltweit zu den Hauptursachen einer Erblindung. Diese Form der Blindheit kann zwar durch Transplantation behandelt werden, allerdings gibt es für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung keinen Zugang zu einer Spenderhornhaut: um die 12,7 Millionen Menschen warten bereits darauf und jährlich kommen über 1 Million neuer Fälle dazu. Forscher von der schwedischen Universität Linköping haben nun ein zellfreies implantierbares Medizinprodukt aus Typ-I-Kollagen der Schweinehaut biotechnisch entwickelt, in einer kleinen klinischen Studie an 20 Patienten mit fortgeschrittenem Keratokonus (s.u.) erprobt und das Ergebnis über 2 Jahre verfolgt. Nach einer neuen minimal-invasiven Implantationstechnik konnten 14 Patienten, die bereits blind waren, nach der Operation wieder sehen, und drei von ihnen erreichten eine perfekte Sehkraft.*

Millionen Menschen auf der ganzen Welt sind blind oder sehen schlecht, weil ihre Hornhaut, die klare äußere Schicht, die die Augen schützt und das Licht bündelt, beschädigt ist. Und obwohl Hornhäute mit leichten Schäden von selbst heilen können, benötigen manche Menschen eine Hornhauttransplantation, um ihr Sehvermögen wiederzuerlangen. Abbildung 1 zeigt Position und Aufbau der Hornhaut im menschlichen Auge (von Redn. eingefügt).

Abbildung 1. Die Hornhaut (Cornea) im menschlichen Auge ist ein klares gewölbtes, zumeist elliptisches Scheibchen (11,7 x 10,6 mm) mit einer Dicke von 0,67 mm am Rand und 0,52 mm in der Mitte. Klarheit und Brechkraft sind Voraussetzungfür scharfes fokussierten Sehen. (Bild von Redn. eingefügt. Quelle: Oculus333; https://de.wikipedia.org/wiki/Hornhaut#/media/Datei:Hornhaut-anatomischer-Aufbau1.jpg. Lizenz: cc-by-sa.

Transplantation von Spenderhornhaut

Diese Hornhauttransplantationen sind allerdings teure, invasive und zeitaufwändige Operationen, nach denen die Patienten mehr als ein Jahr lang Medikamente einnehmen müssen, um sicherzustellen, dass ihr Körper das Gewebe nicht abstößt. Wie andere Arten von Spenderorganen müssen menschliche Hornhäute schnell verwendet werden - innerhalb von zwei Wochen nach dem Tod des Spenders -, was zu logistischen Problemen führen kann. In vielen Teilen der Welt, vor allem in ärmeren Gegenden, gibt es nicht genug Hornhautspenden, um diese zu verteilen.

Biotechnisch hergestellte Hornhautimplantate

Nun haben schwedische Forscher nach eigenen Angaben eine neuartige Lösung für viele dieser und anderer Probleme bei der Hornhauttransplantation entwickelt: biotechnisch hergestellte Hornhautimplantate aus Material der Schweinehaut.

In einer kleinen klinischen Studie haben diese Implantate bei 20 Patienten mit fortgeschrittenem Keratokonus zu einer Verbesserung der Sehkraft geführt. (Keratokonus ist eine Erkrankung, bei der sich die Hornhaut verdünnt und vorwölbt, was zu verschwommenem, verzerrtem Sehen führt.) Abbildung 2. Vierzehn der 20 Teilnehmer waren vor dem Eingriff blind, erlangten aber nach der Behandlung mit den Implantaten ihre Sehkraft ganz oder teilweise zurück und konnten auch wieder Kontaktlinsen tragen. Drei der blinden Patienten erreichten nach der Transplantation eine perfekte Sehschärfe .

Abbildung 2. In einer kleinen klinischen Studie mit 20 Patienten verhalfen biotechnisch hergestellte Hornhäute zur Verbesserung oder Wiederherstellung des Sehvermögens. Bild: Thor Balkhed / Universität Linköping

Alle Studienteilnehmer vertrugen die Implantate auch zwei Jahre nach dem Eingriff  und hatten keine unerwünschten Nebenwirkungen wie Entzündungen oder Narbenbildung zu verzeichnen.

Die Forscher haben diese und weitere Ergebnisse  aus der Studie in einem neuen Artikel veröffentlicht, der letzte Woche in der Zeitschrift Nature Biotechnology erschienen ist [1].

"Es ist möglich, ein Biomaterial zu entwickeln, das alle Kriterien für die Verwendung als menschliches Implantat erfüllt, das in Massenproduktion hergestellt, bis zu zwei Jahre gelagert werden kann und damit noch mehr Menschen mit Sehproblemen erreicht", erklärtNeil Lagali, Augenarzt an der Universität Linköping und einer der Autoren der Studie. "Damit umgehen wir das Problem, dass es an gespendetem Hornhautgewebe mangelt und erhalten den Zugang zu anderen Behandlungen für Augenkrankheiten."

Entwicklung und klinische Prüfung der Hornhauttransplantate

Um ein transparentes Hydrogel herzustellen, haben die Forscher medizinisches Kollagen aus Schweinehaut verwendet. Die Chirurgen haben dann einen winzigen Einschnitt in die Hornhaut der Patienten gemacht und das Hydrogel eingesetzt; dieses half die Hornhaut zu verdicken und umzuformen und ihre Funktionsfähigkeit so wieder herzustellen. Abbildung 3.

Diese chirurgische Methode stellt auch eine Verbesserung gegenüber herkömmlichen Transplantationsverfahren dar, bei denen die Chirurgen die ursprüngliche Hornhaut des Patienten entfernen und eine neue einsetzen.

Mit 30 Minuten Dauer war das Hydrogel-Verfahren auch viel schneller als eine typische Hornhauttransplantation, die mehrere Stunden dauern kann.

Abbildung 3. Die biotechnisch hergestellte Hornhaut (oben) vor und nach ihrer Implantation (unten rechts). Bild oben von Thor Balkhed / Universität Linköping. Bild unten: Spaltlampen-Aufnahme aus der klinischen Studie von einem Patienten vor der Operation (links) und einen Tag nach der Operation(rechts): die unmittelbare Änderung (weiße Pfeile) von Dicke und Krümmung der Hornhaut sind ersichtlich (Bild von Redn. aus [1) eingefügt, Lizenz: cc-by).

Nach dem Eingriff brauchten die Patienten in der klinischen Studie nur acht Wochen lang immunsuppressive Augentropfen anwenden, während sie bei herkömmlichen Transplantationen mehrere Jahre lang Medikamente einnehmen müssen. Ihre Körper stießen die biotechnisch hergestellten Hornhäute nicht ab.

"Die Idee, dass biotechnologisch hergestellte Hornhaut zur Verrfügung steht, sollte eine Revolution auslösen", äußert Marian Macsai, Augenarzt an der Universität von Chicago, der nicht an der Studie beteiligt war, gegenüber Aria Bendix von NBC News. "Das Risiko einer Abstoßung würde möglicherweise wegfallen und Hornhäute könnten Patienten weltweit zur Verfügung gestellt werden."

Auch wenn es für eine Feststellung, ob die biotechnisch hergestellten Hornhäute auch Patienten mit anderen Erkrankungen helfen können, noch zu früh ist, zeichnet sich die Technologie bereits als vielversprechend  für Menschen ab, die mit Keratokonus leben; weltweit ist davon davon ist laut Johns Hopkins Medicine [2] einer von 2.000 Menschen betroffen.

Ausblick

Als Nächstes haben die Forscher vor, die Hornhäute in einer klinischen Studie an 100 oder mehr Personen zu erproben und dann um die behördliche Zulassung einzureichen, berichtet NBC News. Sie wollen Untersuchungen auch an Patienten durchführen, die an anderen Augenkrankheiten leiden.

Auf lange Sicht hin wollen sie biotechnisch hergestellte Hornhäute in Teilen der Welt mit begrenzten Ressourcen verfügbar machen. Laut der gemeinnützigen Organisation Eversight (ein Netzwerk von Augenbanken in den US basierend auf Spender-Geweben, Anm. Redn.) gibt es in den Vereinigten Staaten zwar keine Warteliste für Hornhauttransplantationen, anderswo ist das aber nicht der Fall. Eine Studie aus dem Jahr 2016 ergab, dass weltweit etwa 12,7 Millionen Menschen eine Hornhauttransplantation benötigen würden - die Forscher wollen dazu beitragen, diesen Rückstand abzubauen.

"Wir haben erhebliche Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass unsere Erfindung weithin verfügbar und für alle, nicht nur für die Wohlhabenden, erschwinglich ist", erklärt Mehrdad Rafat, biomedizinischer Ingenieur an der Universität Linköping, CEO von LinkoCare Life Sciences AB und einer der Autoren der Studie. "So kann diese Technologie in allen Teilen der Welt eingesetzt werden."


[1] Rafat, M., Jabbarvand, M., Sharma, N. et al. Bioengineered corneal tissue for minimally invasive vision restoration in advanced keratoconus in two clinical cohorts. Nat Biotechnol (2022). https://doi.org/10.1038/s41587-022-01408-w (open access, cc-by)

[2] Keratokonus: https://www.hopkinsmedicine.org/health/conditions-and-diseases/keratoconus#:~:text=Keratoconus%20occurs%20in%20approximately%20one,be%20needed%20to%20restore%20sight.


 *Der vorliegende Artikel ist unter dem Titel "Cornea Implants Made From Pig Skin Restored Eyesight in a Small Clinical Trial" am 16 . August 2022 im Smithsonian Magazin erschienen https://www.smithsonianmag.com/smart-news/cornea-implants-made-from-pig-skin-restored-eyesight-in-a-small-clinical-trial-180980590/. Autorin ist die Redakteurin Sarah Kuta (Longmont, Colorado).

Der Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt und mit 2 Abbildungen (aus Wikipedia und aus der zugrunde liegenden klinischen Prüfung [2]) ergänzt.


 

inge Thu, 18.08.2022 - 13:27