Migration und naturwissenschaftliche Bildung

Migration und naturwissenschaftliche Bildung

Do, 10.08.2017 - 14:21 — Inge Schuster

Inge SchusterIcon Politik & GesellschaftMangelnde Kenntnisse in den Naturwissenschaften werden in unserem Land (und leider auch in vielen anderen Ländern) nicht als Bildungslücke angesehen. Regelmäßige Eurobarometer Umfragen zur Einstellung der erwachsenen Bevölkerung zu "Science & Technology" zeichnen ein von Unwissen und Desinteresse geprägtes Bild, PISA-Studien der heranwachsenden Jugend sind ernüchternd. Die letzte dieser Studien - PISA 2015 - mit dem Schwerpunkt auf Naturwissenschaften hat zudem aufgezeigt, dass Schüler mit Migrationshintergrund in diesen Fächern einen besonders großen Rückstand auf die einheimische Jugend haben. Der Einstrom von (niedrigqualifizierten) Migranten aus anderen Kulturkreisen hält an und wirkt sich zweifellos auch auf die naturwissenschaftliche Bildung unserer Gesellschaft aus.

Dass Grundkompetenzen in den Naturwissenschaften notwendig sind, um die Welt in der wir leben zu verstehen und in ihr bestehen zu können, ist wohl jedermann klar und dies umso mehr als viele zukünftige Berufe im Bereich von "Science & Technology" angesiedelt sein werden. Dennoch gehören naturwissenschaftliche Kenntnisse bei uns nicht zum Grundkanon der Allgemeinbildung. In vielen unserer Schulen wird das Verständnis für Naturwissenschaften offensichtlich nur unzureichend vermittelt: Schulabgänger - Berufsschüler und angesehene Meister, Studenten oder auch beispielsweise Politiker -, die nicht wissen, was ein Atom, ein Molekül ist, sind leider keine Ausnahmen.

Seit Jahren untersucht die OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) im sogenannten PISA-Test (PISA steht für: Programme for International Student Assessment) in regelmäßigen Intervallen, wieweit Schüler im Alter von 15 Jahren (am Ende ihrer Pflichtschulzeit) "Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben, die es ihnen ermöglichen, an der Wissensgesellschaft teilzuhaben". Im Jahr 2015 war die Testung in den Naturwissenschaften wieder an der Reihe und mehr als eine halbe Million Schüler in 72 Ländern und Regionen haben daran teilgenommen [1].

Unter den 38 OECD Ländern liegt Österreich mit im Mittel 495 Punkten in den Naturwissenschaften im OECD-Durchschnitt und erreichte gerade den 20. Platz. Besorgniserregender als das mittelmäßige Abschneiden war aber, dass rund 21 % der Schüler den Anforderungen naturwissenschaftlicher Grundkompetenz - Kompetenzstufe 2 (über 410 Punkte) - nicht gerecht wurden - ein Niveau über das - laut PISA - "alle jungen Erwachsenen verfügen sollten, um in der Lage zu sein, weitere Lernangebote wahrzunehmen und uneingeschränkt am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben einer modernen Gesellschaft teilzunehmen". Dazu kommt, dass mehr als die Hälfte der Schüler der Ansicht waren, dass es sich einfach nicht lohne sich im Unterricht anzustrengen - die Jobaussichten würden damit nicht besser und für ihren künftigen Beruf würden sie Naturwissenschaften auch nicht brauchen.

Nun ist Österreich seit den 1960er Jahren zu einem Einwanderungsland geworden (Abbildung 1), und der anhaltende Zustrom von Menschen aus anderen Kulturkreisen mit anderen Einstellungen zur Bildung wirkt sich zweifellos auf unsere gesamte Gesellschaft aus.

Woher stammen Österreichs Migranten?

Ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre wurde Österreich - wie auch Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Belgien - Zielland für niedrigqualifizierte Einwanderer - die Wirtschaft benötigte Arbeitskräfte, sogenannte Gastarbeiter und diese wurden vorwiegend aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei angeworben. Es sollte dies eigentlich ein Rotationssystem temporärer Arbeitskräfte - überwiegend von Männern -werden, viele davon ließen sich aber dauerhaft in Österreich nieder, gründeten Familien oder holten diese nach. Eine zweite große Migrationswelle setzte ein, als der eiserne Vorhang fiel, als die erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften nun Menschen aus Mittel- und Osteuropa (aber auch aus anderen Teilen der Welt) nach Österreich brachte. Dazu kamen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, vor allem aus dem zerfallenden Jugoslawien, aus Afghanistan und Tschetschenien.

Abbildung 1.Die Migration nach Österreich verläuft in Wellen (oben). Rund 21 % der im Jahr 2015 in Österreich lebenden Menschen haben Migrationshintergrund (unten). Rund 30 % der aus Ex-Jugoslawien und 43 % der aus der Türkei stammenden Menschen leben bei uns bereits in zweiter Generation. (Quelle: Statistik Austria: Migration & Integration. Zahlen, Daten, Indikatoren 2016, p. 25 und 27; © STATISTIK AUSTRIA, cc-by-nc)

Eine wachsende Mobilität innerhalb der EU führte in den letzten beiden Jahrzehnten auch zu einer verstärkten Binnenmigration, wobei aus Deutschland stammende EU-Bürger die größte Gruppe darstellen, vor Rumänen und Ungarn. Migration aus Drittstaaten war vorwiegend auf Flüchtlingsmigration aus Asien, insbesondere aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, zurückzuführen . An zweiter Stelle liegen afrikanische Länder (Nigeria, Somalia, Ägypten).

Insgesamt lebten im Jahr der PISA 2015 Erhebung in Österreich rund 8,491 Millionen Menschen, davon hatten 1,813 Millionen Migrationshintergrund (von diesen waren 40 % bereits österreichische Staatsbürger). 39 % stammten aus dem Raum EU/EWR/Schweiz, 28 % aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens (ohne die EU-Bürger aus Slowenien und Kroatien) und 15 % aus der Türkei (Abbildung 1).

Naturwissenschaftliche Kompetenzen von Schülern mit Migrationshintergrund

Im OECD-Durchschnitt erreichten Schüler der ersten Einwanderungsgeneration um rund 50 Punkte weniger als Schüler ohne Migrationshintergrund, in der zweiten Generation verringerte sich diese Differenz auf rund 30 Punkte. (30 PISA-Punkte werden in etwa einem Leistungsunterschied von einem Schuljahr gleichgesetzt). Abbildung 2.

Österreich gehört mit Luxemburg, der Schweiz, Irland und Estland zu den europäischen Ländern mit den höchsten Anteilen an Schülern mit Migrationshintergrund. Währen die beiden ersten Länder allerdings einen hohen Anteil hochqualifizierter Zuwanderer aufweisen, in Estland ein hoher Anteil aus den ehemaligen UDSSR-Staaten stammt und in Irland aus EU-Staaten, gehört Österreich - wie auch Deutschland, Frankreich, Belgien und die Niederlande zu den Staaten mit einem hohen Anteil sesshafter, niedrigqualifizierter Zuwanderer. Der Leistungsunterschied zwischen Schülern ohne und mit Migrationshintergrund liegt in der ersten Zuwanderungsgeneration bei 82 Punkten und bei den bereits in Österreich geborenen und aufgewachsenen Schülern immer noch bei 63 Punkten (Abbildung 2). Auch nach Berücksichtigung des sozioökonomischen Status bleibt ein Unterschied von 57 resp. 38 Punkten bestehen (Tabelle I.7a: http://dx.doi.org/10.1787/888933433226).

Tatsächlich dürfte der Leistungsunterschied aber noch negativer ausfallen: 14 % der 15 Jährigen mit Migrationshintergrund versus 6 % Einheimische stehen bereits nicht mehr in Ausbildung - ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse wurden daher nicht erfasst.

Mangelnde Sprachkenntnisse können in der ersten Generation, aber wohl nicht mehr in der zweiten Generation zum schlechten Abschneiden beitragen. Paradebeispiele für gutes Abschneiden von Migranten bieten Schüler aus Festlandchina, die nach Australien einwanderten: in der ersten Generation erzielten diese bereits 500 Punkte, in der zweiten Generation überflügelten sie mit über 580 Punkten die Schüler ohne Migrationhintergrund bei weitem. In Europa erreichten Schüler aus Polen, die nach Deutschland und auch nach Österreich kamen, in der ersten Generation rund 480 Punkte, in der zweiten dann 520, resp. 500 Punkte. Abbildung 2. PISA 2015: Naturwissenschaftliche Schülerleistungen und Migrationsstatus. Es sind nur Länder aufgeführt, in denen der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund über 6,25 % liegt. Die Höhe dieses Anteils wurde im unteren Teil der Abbildung eingefügt. 1. Zuwanderungsgeneration: Schüler und Eltern im Ausland geboren ; 2. Zuwanderungsgeneration: Schüler im Erhebungsland, Eltern im Ausland geboren. (Quelle: OECD, PISA-2015-Datenbank, Tabelle I.7.4a und Tabelle I.1.3; Lizenz: cc-by-nc-sa)

Woher resultieren die Leistungsunterschiede bei Migranten?

Wie aus Abbildung 1 ersichtlich stammten rund 39 % der 2015 in Österreich lebenden Personen mit Migrationshintergrund aus dem Raum EU/EWR/Schweiz, rund 1 Million aus dem Raum des ehemaligen Jugoslawien und der Türkei. Der stark ansteigende Strom von Flüchtlingen stammte vorwiegend aus islamischen Ländern.

Von wichtigen Herkunftsländern der zu uns gelangenden Migranten haben einige an der PISA 2015 Studie teilgenommen - sie geben ein Bild der naturwissenschaftlichen Kompetenzen der Schüler, wenn keine Sprachbarrieren, keine soziale Segregation im Gastland und ausgrenzende systemisch-strukturelle Aspekte des Schulwesens bestehen. Abbildung 3.

Die Herkunftsländer am Balkan

bieten ein erschreckendes Ergebnis. Mit Ausnahme von Kroatien, das aber auch unter dem OECD-Mittelwert abschneidet, weisen alle anderen Balkanstaaten, insbesondere der Kosovo und Mazedonien ein miserables Ergebnis auf. Bis zu zwei Drittel der Schüler erreichten dort die Grundkompetenz - Kompetenzstufe 2 - nicht. Leistungsstarke Schüler - d.i. Kompetenzstufen von 5 aufwärts - gibt es kaum. Besonders tragisch ist, dass die Leistungsschwächen nicht nur die Naturwissenschaften betreffen, sondern, dass bis zu 60 % der Schüler die Grundkompetenzen in allen drei Testfächern: Naturwissenschaften, Lesen und Mathematik nicht erreichten.

Abbildung 3. Ergebnisse von Balkanländern und islamischen Ländern, die an PISA 2015 Studie teilnahmen: In den Naturwissenschaften (N) erzielte Punkte, % der Schüler, welche in N die Grundkompetenz nicht erreichten (< Stufe 2), welche in N leistungsstark waren (>/5) und die in allen drei getesteten Disziplinen - N, Lesen und Mathematik - die Grundkompetenz nicht erreichten. (Quelle: Mittelwerte stammen aus den angegebenen Tabellen; OECD, PISA-2015-Datenbank; Lizenz: cc-by-nc-sa)

Aus den getesteten Ländern lebten 2015 laut Statistik Austria rund 83 000 Rumänen, 70 000 Kroaten, 24 000 Kosovaren, 22 000 Bulgaren und 22 000 Mazedonier in Österreich.

Länder mit überwiegend islamischer Bevölkerung

schnitten im PISA-Test ebenfalls sehr schlecht ab. 44,5 % der Schüler in der Türkei konnten die Grundkompetenzen in den Naturwissenschaften und 31 % nicht die Grundkompetenzen in allen drei Disziplinen erreichen. Die schlechtesten Werte wurden in den Nordafrikanischen Staaten Tunesien und Algerien und im Libanon erzielt. Bis über 70 % der Schüler konnten dort nicht die Grundkompetenz in den Naturwissenschaften, bis über 60 % nicht die in allen drei Fächern erreichen. Dass mangelnde Finanzkraft für die schlechten Bildung ausschlaggebend ist, wird durch die mageren PISA-Ergebnisse aus Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten widerlegt, die zu den reichsten Ländern der Welt gehören.

Eine vor kurzem veröffentlichte Studie de PEW Research Centers gibt an, dass im Durchschnitt 42 % der Muslime im Mittleren Osten und Nordafrika überhaupt keine Schulbildung aufweisen (verglichen mit 19 % Nicht-Muslimen) [2]. In Ländern der Sub-Sahara Zone in Afrika - diese haben an PISA 2015 nicht teilgenommen - liegt der Anteil der muslimischen Bevölkerung ohne Schulbildung bei 65 % (im Vergleich zu 30 % der ebendort lebenden Christen) und gerade einmal 9 % sind auf etwa Hauptschulniveau (verglichen mit 28 % Christen) [2].

Wie geht es weiter?

In der PISA 2015 Erhebung ist der in diesem Jahr einsetzende enorme Flüchtlingsstrom noch nicht berücksichtigt. Es sind vorwiegend muslimische Kriegsgebiete, aus denen Menschen flüchten, aber auch Länder, die für die sich stark vermehrende Populationen keine Zukunftsperspektiven bieten. Zweifellos haben viele der Menschen, die sich auf den gefährlichen und anstrengenden Weg begeben, ein höheres Bildungsniveau, als die in ihrem Land verbleibenden. Dennoch werden die meisten der in unserem Land Ankommenden - auch auf Grund ihrer religiösen Ansichten - sich nur schwer in eine Gesellschaft mit anderen Wertvorstellungen integrieren, zu denen auch Leistungswille und Streben nach Bildung gehören. Frustration über die geringen Chancen in Wunschberufen unterzukommen und mangelnde Akzeptanz in der Mehrheitsgesellschaft werden die Folge sein.

Die islamische Welt hat vor einem Jahrtausend eine dominierende Rolle in der Wissenschaft gespielt. Heute hat sie die damalige Weltoffenheit eingebüßt und weist in den Bereichen Bildung und Wissenschaft schwerste Defizite auf. Dies trifft nicht nur auf die Schulbildung zu. Auch in der für die Wirtschaft essentiellen Forschung und Entwicklung sind in muslimischen Ländern bedeutend weniger Wissenschafter tätig als in vergleichbaren nicht-muslimischen Ländern: Bei nsgesamt rund 1,8 Milliarden heute lebender Muslime steuern diese gerade einmal 1 % der naturwissenschaftlichen Literatur bei [3] und haben erst zwei Nobelpreisträger -den Pakistani Abdul Salaam in Physik und den Ägypter Ahmed Zewail in Chemie - hervorgebracht.

Sollte man den jungen Muslimen nicht aufzeigen, dass - wie vor 1000 Jahren - auch heute eine weltoffene Religion durchaus mit Bildung und Wissenschaft kompatibel sein kann?


[1] Ergebnisse der PISA 2015 Studie: OECD (2016), PISA 2015 Ergebnisse (Band I): Exzellenz und Chancengerechtigkeit in der Bildung, PISA, W. Bertelsmann Verlag, Germany. DOI 10.3278/6004573w

OECD (2016), PISA 2015 Results (Volume II): Policies and Practices for Successful Schools, PISA, http://dx.doi.org/10.1787/9789264267510-en 

[2] Pew Research Center, Dec. 13, 2016, “Religion and Education Around the World” [3] StatPlanet World Bank - Open Data https://www.statsilk.com/maps/statplanet-world-bank-app-open-data/?y=199...


Weiterführende Links

Statistiken zum Asylwesen in Österreich: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Asylwesen/statistik/start.aspx

Statistik Austria: http://data.statistik.gv.at/web/catalog.jsp#collapse1

Artikel in ScienceBlog.at:

Inge Schuster, 22.6.2017: Der naturwissenschaftliche Unterricht an unseren Schulen


inge Thu, 10.08.2017 - 14:21